Krebs Bullshit Bingo

Ich sitze auf dem Boden einer Buchhandlung kurz bevor der Laden am Abend zu macht. In den Händen das Buch von Sabine Dinkel „Krebs ist wenn man trotzdem lacht.“

Auf der Seite mit dem Kapitel „Bullshit-Krebs-Bingo“ bleibe ich hängen und lach mich schlapp.

Darauf eine Tabelle mit den blödesten Sprüchen, die man als Patient von seinem Umfeld so hingedrückt bekommen kann.  Aber ich im festen Glauben, „so etwas“ wird nie jemand zu Dir sagen.

BINGO – von den insgesamt 21 abgebildeten Doof-Sprüchen hab ich tatsächlich locker auch schon 13 abgekriegt und bis zum Ende meiner Therapie werden es bestimmt noch mehr…

Aber viel wichtiger, als sich darüber aufzuregen, dass Menschen in ihrer Hilflosigkeit oder auch Angst um einen, Sätze wie, „wird schon wieder“ oder „du musst positiv denken“ oder „das könnte auch eine große Chance für dich sein“ sagen, ist doch die Frage, wie kommt es zu diesen Phrasen?

Unwissenheit – meiner Meinung nach schlichtweg Unwissenheit. Gepaart mit eben bereits erwähnter Hilflosigkeit oder auch gepaart mit vielen, vielen Ängsten.

Angst um den Erkrankten, Angst selbst zu erkranken, vielleicht auch der Glaube, jetzt etwas ganz besonders Schlaues, Mitfühlendes, Tiefgründiges sagen zu müssen. Etwas Großes, das der Situation angemessen scheint.

Ich für meinen Teil kann nur sagen, fragen geht über kommentieren. Ein ehrliches „Wie geht es Dir damit?“, „Was für Therapien stehen denn jetzt an?“, „Was musst Du denn alles machen?“ und schlichtweg das Angebot in der Not da zu sein, würden mir vollkommen ausreichen. Ehrliches Interesse, Mitgefühl, Einfach-Dasein, eine liebevolle Umarmung sind meiner Meinung nach viel mehr Wert, als der Versuch jetzt auch noch einen tieferen Sinn in das Elend hinein interpretieren zu wollen.

Der Mist hat keinen tieferen Sinn – wie sagt Sabine Dinkel – man hat schlichtweg „die bio-chemische Vollniete“ gezogen – da gibt s keinen tieferen Sinn.

Da hat auch keiner Schuld, und so ist es müßig, über Sätze zu grübeln wie „Du hattest ja auch ganz schön viel Stress…“ und sich somit noch tiefer ins psychische Elend zu stürzen,   bei der Frage nach seinem Anteil an dem Mist namens Krebs.

Ich habe eine liebe Geschäftskollegin und mittlerweile Freundin, die sagt in regelmäßigen Abständen, wenn ich ihr von der Krankheiten und der  Therapie erzähle:“Was für eine Scheiße! Was für eine gequirlte Scheiße!“ Was soll ich sagen? Bei diesen Worten geht mir das Herz auf! Denn, Ja, Verdammt das ist es! (Entschuldigt, seit der Diagnose habe ich einen extremen Hang zum Fluchen entwickelt!)

Den größten Bull-Shit-Krebs-Bingo durfte ich mir gerade erst vergangene Woche anhören. Da sagte eine weitläufigere Bekannte wirklich folgenden Satz zu mir:“Du, vielleicht ist das auch ein großes Geschenk?!“

Hallo?!? Hab ich richtig gehört? Ein Geschenk? Was denn nun genau? Die Tatsache,  dass ich meinen kleinen runden Glatzkopf in braune und blonde Perücken verhüllen darf?

Oder vielleicht der Umstand, dass sich in Chemo-Wochen mein Körper ganz wund anfühlt und ich es zu Fuß nicht mal zum nächsten Bäcker schaffe, ohne einen Puls von 160 zu kriegen?

Vielleicht auch die Kleinigkeit, dass ich mich manchmal vor Schmerzen, Verzweiflung und Depressionen nicht einmal auf einen Schundroman konzentrieren kann, wo ich früher als Journalistin am Liebsten die „Zeit“ verschlungen habe.

Oder auch die elende Angst, wenn ich wieder „dran bin“ und stundenlang auf der Onko liege und hoffe und bete, dass die Chemie nicht allzu großen Schaden anstellt, dafür aber tötet, was sie töten soll.

Ein Geschenk… ?!?

Krebs ist weder ein Geschenk noch eine Chance. Und ich hätte diese Krankheit sicher nicht gebraucht, um zu merken, dass man nur ein Leben hat und kein zweites und drittes im Tresor… Krebs ist eine lebensbedrohende Krankheit, deren Behandlung Patientinnen alles an Kraft, Mut, Ausdauer und Optimismus abverlangt, was nur aus einer Frau  heraus zu quetschen ist.

Und – und auch da bin ich ganz bei einer anderen guten Freundin – es  gilt auch nicht die Krankheit zu „bekämpfen“, geschweige denn, dass man hier einen „Kampf“ verlieren kann. Denn das würde ja automatisch implizieren, dass sich da jemand nicht genügend angestrengt hat und deshalb den „Kampf verloren“ hat. Diese ganze martialische Kriegsrhetorik geht mir im Zusmamenhang mit dieser Krankheit und dem „gesund werden“ (wollen) gewaltig auf den Nerv.

Es geht ums gesund und heil werden, es geht ums stark und hoffnungsfroh werden, es geht darum, Lebensqualität zu bewahren und wieder zu gewinnen, es geht mir darum, mit mir im Einklang zu stehen, immer im Wissen, ich bin ich, nicht Krebs, nicht eine Diagnose, nicht eine Krankheit sondern eine Persönlichkeit. Und die war ich auch schon vor Krebs.

Also fragt mich gerne, wie es mir geht. Nehmt mich fest in den Arm.Flucht auch gerne mit mir um die Wette. Gebt auch gerne zu, wenn ihr nicht wisst, was sagen und euch diese Krankheit schlichtweg überfordert. Ansonsten gilt – jedenfalls für mich –  einfach mal die Klappe halten.

Verfluchte Scheiße nochmal. Danke. Hab euch auch lieb.

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