Eine haarige Angelegenheit….

Ich sehe uns heute noch in der letzten Vorweihnachtszeit zu viert zum Fotografen gehen. Ich will von unserer Familie Fotos machen lassen. Eine Erinnerung haben an die Zeit „davor“, vor der Chemo, an die Zeit mit Haaren, an die Zeit, als ich den Eindruck hatte noch ganz unauffällig durch die Stadt laufen zu können, in der Masse verschwinden zu können, zu sein „wie Du und ich“…..

Ich bin maximal angespannt als wir zu viert ins Foto-Studio wackeln, dabei sollen wir jetzt lustige Familienportraits machen – ausgelassen, albern, fröhlich… Es wird dann sogar ganz lustig, obwohl wir viel zu spät sind, der Fotograf nicht mehr viel Zeit hat und der Anlass alles andere als witzig… Es gelingt mir für diese Stunde zu vergessen, warum ich unbedingt her kommen wollte. Die Kinder haben Spaß, albern rum und die Fotos sind am Ende wirklich schön geworden. Nur ich sehe beim Betrachten der Bilder, wie angespannt ich an diesem Nachmittag wirklich war. Und ich erkenne mich nicht wieder, wenn ich die Familienportraits anschaue.

Wer ist diese Frau mit den langen blonden Haaren, die sie zu einem lustigen Pferdeschwanz zusammengebunden hat, mit ihren Kindern und ihrem Mann rumalbernd.. ?

Wenn ich heute ungeschminkt und ohne irgendeinen Hut, eine Mütze, ein Haarband, eine Perücke und falschen Wimpern in den Spiegel schaue, sehe ich einen Menschen, der von den letzten Monaten gezeichnet ist. Die Augen sind klein, manchmal zu geschwollen von den Medikamenten, die Frisur martialisch.  Mit den wenigen Haaren, die mir noch geblieben sind, sehe ich aus wie Demi Moore in die „Akte Jane“, leider steht mir die Soldatenfrisur aber nicht einmal halb so gut wie Demi…. Und doch schaut mir da auch etwas zutiefst menschliches entgegen, etwas pures, etwas auch im übertragenen Sinne „ungeschminktes“, etwas jenseits aller Eitelkeiten. Nun kann man die Prüfung „Selbstliebe“ auf „Professoren-Ebene“ ablegen. Jetzt heißt es zu sich stehen oder untergehen.

Ich konnte mir ja im Leben viel vorstellen, aber nicht ohne meine geliebten Haare zu sein. Sie waren immer dick und viele und zu jeder Schandtat bereit. Sie hatten alle Formen und Farben – von dunkelbraun, über dunkelrot bis goldblond. Sie waren kurz und frech, mit und ohne Strähnen, mit und ohne Locken, wild und aufgedonnert, glatt und elegant, sie waren alles – nur nicht weg….

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Als mir die Onkologieschwester die Perückenverordnung in die Hand drückte wie ein Aspirin-Rezept, hätte ich sie morden können. Da saß sie mit ihren Pferdeschwanz, der ihr fast bis zum Po reichte, in hellem strahlenden blond und tat so, als ob ich mir mal schnell ein neues T-Shirt bestellen sollte. Dabei brauchte ich demnächst einen neuen Kopf, eine neue Identität, eine Scheinidentität, eine Schutzweste für den Schädel – und eine für die Seele.

Mein erster Besuch bei einem „Spezialfriseur“ war dann auch eine Vollkatastrophe. Ein „Alt-Damen-Salon“, in den ich unter anderen Umständen niemals einen Fuß hineingesetzt hätte. Der „Ach-so-einfühlsame“ Friseur führt mich denn sogleich in ein winziges Hinterzimmer. Auf dem Boden tausende von Mini-Stoppeln, die sich ins Linoleum gefressen hatten, Mini-Stoppeln anderer Schicksalsgenossen…

Ich höre denn auch nicht mehr wirklich hin, als mir die Vorzüge von Kunsthaarperücken und Echthaarperücken aufgezählt werden. Entsetzt starre ich in den vom Friseur selbst entworfenen Bilderkatalog, darin Portraits früherer Kundinnen. Die Frauen sind mal mit und mal ohne Perücke abgebildet. Die Portraits machen mir angst. Die Frauen sehen ohne Perücke so.. so.. so.. -krank ? aus? Mit Perücke sieht so manche von ihnen aber richtig attraktiv aus. In meinen damaligen Maßstäben. Meinen „Normalo-Maßstäben“…

Ich will da raus. Nur noch raus. Nein, ich will das nicht. Und ich will auch nicht, wie vorgeschlagen am Tag, an dem mir die ersten langen Haare ausfallen werden, zur Vollschur und dann schnell eine Langhaarperücke auf den Kopf gesetzt bekommen, „als ob nichts geschehen wäre“. „Sie werden sehen, wenn sie hier rausgehen, bemerkt niemand etwas. Viele werden sie einfach fragen, ob sie gerade vom Friseur kommen“, so der Kommentar des Friseurinhabers. Meinen Vorschlag, erst einmal die Haare abzuschneiden, damit ich mich schon mal an „wenig Haar“ gewöhnen kann, ignoriert er.

„Na überlegen Sie mal. Da fallen Sie doch erst Recht auf! Wenn Sie erst mit langem, dann mit kurzem und dann wieder mit langem Haar herumlaufen“, wird mir da erklärt.

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Aha. Nur nicht auffallen. Niemanden etwas erklären müssen. Schön im verborgenen bleiben. Versteck spielen. So tun, als ob nichts wäre. Genauso hätte ich versuchen können ein Jahr die Luft an zu halten. Hallo ??? Ich habe Krebs. Ich kriege Chemo. Und mir werden alle alle alle schönen Haare ausfallen. ICH KANN NICHT SO TUN ALS WÄRE NICHTS!!!!

Ein guter, guter mir bekannter Friseur und mittlerweile Freund hilft mir dann in der Not. Er hat einen Salon, den ich auch sonst sehr geliebt habe. Ein Ort zum Wohlfühlen. Keinen zum Verstecken. Doofe schmutzige Hinterzimmer gibts hier nicht. Allenfalls eine etwas ruhigere Ecke, in der ich dann auch ein bisschen Perücken Show machen darf.

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Er schneidet mir die Haare zu einer ordentlichen, witzigen Kurzhaarfrisur, so wie ich es möchte. Zwei Wochen wird sie mir Freude bereiten. Bis der Abend kommt, an dem ich mir beim Zähne putzen in die Haare fahre und sie mir an der Hand kleben bleiben. Ich werde nie vergessen, wie es in das Waschbecken rieselte. Es sollte viele Wochen rieseln. Ich hatte verdammt viel Haar. Selbst als wir sie auf 3 Zentimeter trimmten und ich, wie meine Freundin sagte, wie ein lieber „Monchhichi“ aussah, rieselte es noch Wochen in meine Mützen…. die ich jeden Abend und jeden morgen aufs neue ausschütteln musste.

Ich brauchte lange um diesen Anblick zu ertragen. Noch länger mich so zuhause zu zeigen. Selbst mein Mann sah mich erst Wochen später „oben ohne“ – also auch mal ganz ohne irgendeine Kopfbedeckung. Meine Kinder haben mich letztes Wochenende zum ersten Mal ohne Haare gesehen. Ich wollte sie „schonen“. Damit tat ich mir aber selbst keinen Gefallen. Ich wollte mir keine Blöße geben, mich ihnen gegenüber immer stark zeigen, ihnen die mutige, immer lustige, zuverlässige Mutti sein, die Mutti, die sie kannten.

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„Oben ohne“ sieht man auch ganz schön verletzlich aus. Ich habe mich ihnen nun so gezeigt. Meine Tochter und ich lagen uns in den Armen und haben zum ersten Mal zusammen geweint. Das war ein schwerer Moment. Aber auch ein guter. Einer der innigsten, die wir vielleicht je hatten. Er wird uns verbinden. Sie wird uns verbinden, diese haarlose Zeit. Auch dann noch, wenn ich längst wieder Haare habe und wieder nur zum Spaß und zum Wohlfühlen zum Friseur gehen darf.

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