Wer eine schwere Erkrankung diagnostiziert bekommt, sollte sich als erstes vielleicht ein mehrbändiges medizinisches Lexikon anschaffen. Meine Arztbriefe sind eine „lustige“ Buchstaben und Zahlenkombination, die ein bisschen an „Schiffe versenken“ erinnern. Nicht ein Arzt, nicht einmal der netteste, hat sich bis jetzt erbarmt, mir diese Buchstaben- und Zahlenkombinationen zu erläutern. Also eins vorneweg: Einen Tresor konnte ich bislang nicht damit knacken. Aber es gibt ja Dr. „Google“.
Eigentlich bin ich nach fast jedem Arztgespräch annähernd genauso ratlos wieder nach hause gegangen, wie ich hinein gegangen bin. Oder ich hatte zumindest noch tausend Fragen übrig. Gerade in der Anfangszeit ist man als Patientin völlig von der Diagnose überfordert, wenn nicht gar paralysiert. In der Schockphase wollen einfach nur ein Bruchteil der medizinischen Informationen überhaupt an einen ran und in einen rein. So sehr ich mich auch bemühte genau zuzuhören, nachzufragen, zu verstehen – am Ende blieb die Hälfte der Informationen auf der Strecke und ich hatte ein „Watte-Hirn“.
Mein mich damals behandelnder Arzt kannte dieses Problem der Patientinnen auch – gerade die schwierige Kommunikation im Anfangsstadium der Diagnose. Seine Ansprache und seine Wortwahl veränderte er dennoch nicht. Vielmehr schmiss er mit Statistiken, Studienergebnissen und Fachvokabular nur so um sich. Da halfen auch seine „lustigen“ Zeichnungen nicht, mit denen er das Gesagte irgendwie verdeutlichen wollte. Es half nichts, ich musste mir jede Menge Notizen machen und zuhause anfangen zu recherchieren und zu übersetzen. Auch schlimm war: Viele wichtige Informationen gab es nur „en Passant“ bei kurzen spontanen Untersuchungen, Mini-Visiten, Flur-Gesprächen. Bis sich das Neue bei mir gesetzt hatte, war der Arzt längst wieder verschwunden. Und ich blieb mit meinen tausend Fragezeichen in den Augen auf dem Flur zurück. Ausführlichere Gespräche musste man vehement einfordern. Doch in Krankenhäusern hat man wenig Zeit für Patienten. Jedenfalls für ausführliche, persönliche Gespräche und so war es immer ein Kampf, einen entsprechenden Termin zu bekommen.
Generell kann ich nur jeder Patientin raten: Nimm jemanden zu den Gesprächen mit. Den Partner, die Mutter, die Freundin. Zwei Paar Ohren hören einfach mehr als ein geschocktes, trauriges Ohrenpaar. Und: Nimm immer einen schriftlichen Fragenkatalog mit und arbeite diesen gnadenlos ab, egal wie wenig Zeit der Arzt vorgibt zu haben.
Mein „Poesiealbum“, wie mal ein Arzt frech mein Buch für Notizen nannte, ist immer dabei, bei jedem Gespräch. Es ist mein zweites Gehirn. Diagnosen, vorgeschlagene Behandlungen, aufgetretene Nebenwirkungen – ich schreibe mit, ich frage nach, ich lese, ich recherchiere, ich kaufe Bücher, bestelle Broschüren, nehme kostenlose telefonische Hotlines des DKFZ oder der biologischen Krebsabwehr in Anspruch. Ich bin auf dem Stand und lass mich nicht für dumm verkaufen.
Ich suchte für jeden Therapieschritt mir mühsam meinen eigenen, für mich passenden Weg. Welcher Operation soll ich mich unterziehen? Mit welchen Folgen muss ich bei dieser Methode rechnen? Welche Nebenwirkungen löst die Chemotherapie aus? Und wie muss ich diesen begegnen? Selbst standardisierten Behandlungsmethoden, etwa gegen die möglicherweise auftretende Übelkeit bei Chemotherapie, begegnete ich mit dem notwendigen Misstrauen und war erst zufrieden, bis ich das beste Medikament, das es gegen die Spuckerei zur Zeit auf dem Markt gab, in den Händen hielt bzw. verabreicht bekam. Dafür waren dann manchmal auch mehrere Recherchen und mehrere Gespräche mit unterschiedlichen Ärzten notwendig. Aber sie waren wichtig und gut und haben dafür gesorgt, dass ich bis jetzt einigermaßen „durch gekommen“ bin.
Für die meisten Ärzte sind diese harten Diagnosen und Behandlungsmethoden längst Alltag geworden. Sie haben diese Schreckensnachricht schon Hunderte Male überbracht und auch die Folgen, die sich daraus ergeben, hundertfach auf die gleiche Art und Weise erklärt. Doch für jede einzelne, betroffene Frau ist es eben „das erste Mal“, dass sie mit solch einer Diagnose konfrontiert wird und sie fällt oft erst einmal in ein schwarzes (Info-)Loch, aus dem sie nur mühsam wieder heraus krabbelt.
Wirklich aufgeklärte Patientinnen sind dann auch nicht gerade super beliebt – aber sie sind eigentlich ein Segen für den ewig eilenden Arzt, denn sie nehmen ihr Schicksal mutig selbst in die Hand und sind bereit, einiges mehr für ihre Genesung zu tun, als Betroffene, die sich einfach frag- und kritiklos den vorgeschlagenen Therapien hingeben.
Denn eines ist mir auch klar geworden, man kann für seine Genesung weitaus mehr tun, als man am Anfang in der Schockphase glaubt. Frau ist keine Marionette am Tropf. Kein unselbständiges, vor sich hin leidendes Geschöpf, das schlicht ertragen muss, was vorgegeben wird. Mit-Denken und Mit-Lenken hilft enorm, das doch gewaltige Pensum, das da vor einem liegt, zu schaffen. Also Sei dein Freund! und mutig genug, deine Fragen zu stellen und deinen Genesungsweg zu finden.
Gerade jetzt komme ich von meinem behandelnden Onkologen (ja jemand der freiwillig und ganz oft und wann ich immer es brauche mit mir spricht!) und habe die letzte Phase meiner Chemotherapie durchgesprochen und mich so aufgestellt, dass ich nicht auf den letzten Metern schlapp mache (was schnell mal passieren kann bei der Hammertherapie). Also reden und mitdenken lohnt!
Und ja es gibt sie die verständnisvollen, realistischen und menschlichen Ärzte. Jene, die sich nicht hinter Floskeln und Statistiken und Studien verstecken. Jene, die sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie deutsch und Klartext mit einem sprechen. Jene, die ihr Ego nicht mit Fachchinesisch aufpolieren müssen.
Ich hatte viel Glück im Unglück. In der Chemo-Anfangsphase hatte ich sozusagen einen „Zweitarzt“, den ich gnadenlos bei jeder Unsicherheit mit WhatsApp Nachrichten bombardieren durfte. Der war einfach toll. In kürzester Zeit hatte ich eine Antwort, mit der ich etwas anfangen konnte und das Problem entweder selbst lösen konnte oder wusste, ups da muss jetzt ein Profi her… Dem war keine Frage zu doof und wusste mich zu motivieren, durch zu halten.
Als es mit dem mich eigentlich behandelnden Arzt für mich aus vielerlei Gründen nicht mehr weiter ging, habe ich dann den Behandler gewechselt. Auch das muss sich Frau erst einmal trauen. Mein Bauchgefühl sagte mir zwar schon seit Wochen, hier stimmt was nicht, auf dieser Onko, aber bevor ich mich trauen sollte, dem Bauchgefühl zu folgen, hat es gewaltig gedauert. Auch da kann ich nur jeder Frau raten, folge deinem Bauchgefühl, hab nicht zu viel Respekt vor den „weißen“ Autoritäten. Im Endeffekt müssen schließlich die Patientinnen, das Programm schaffen – nicht der Arzt. Und je aufgehobener Frau sich fühlt, je verstandener und gesehener, desto eher wird sie aus- und durchhalten. Ich habe jetzt den für mich perfekt passenden Arzt gefunden, ach was sage ich, ein ganzes Ärzteteam, das ich um mich schare, um jetzt und auch in Zukunft, gut durch diese Behandlung und ihre Folgen durch zukommen sowie die bestmögliche Nachsorge zu gewährleisten.
Und ich würde mich sehr schlecht fühlen, wenn ich nicht noch ein MEGA LOB an die Krankenschwestern los werden würde, die mich bis jetzt so liebevoll begleitet haben. Jene Frauen, die nie die Nerven verlieren, selbst wenn man sie selbst als Patientin längst verloren hat, die immer einen aufmunternden Spruch drauf haben, die ruhig und besonnen bleiben, selbst wenn man selber an diesem Tag, gerade einen leichten Hang zur Hysterie hat, mit denen man noch im blödesten Moment lachen kann und einen doofen Spruch „kloppen“ darf, jene, die so gnadenlos ehrlich zu einem sind, dass man das einfach nur als „erfrischend“ bezeichnen kann. (Bsp-Zitat meiner liebsten Schwester Melanie zu meinem Port -Zugang für Chemo – „Also ich wollte so n Ding auch nicht in mir drin haben…das verstehe ich, dass sie das ganz schnell wieder raus operieren lassen wollen, sieht ja auch saublöd aus, so n Stöpsel am Hals!“). Na danke….. aber gelacht haben wir trotzdem – ganz arg – denn wie jeder weiß: In der Tragödie liegt nun einmal auch ganz viel Komödie. Und eines darf man sich in dieser schweren Zeit auf keinen Fall nehmen lassen, seinen schwarzen Humor.
PS: Und Ärzten, die nicht lieb zu einem sind, zeigt man schlicht und einfach die rote Karte. Denn das „Lebens-Spiel“ kann nur fair und Hand in Hand gewonnen werden.