Was ist gesund? Mein Beitrag zum ersten Mai

 

Seit Monaten wage ich mich zum ersten Mal abends mit einer Freundin aus dem Haus. Mit Kneipen und Café-Abende habe ich es seit geraumer Zeit nicht so…  Aufgrund der Nebenwirkungen der Therapie bin ich eine andere Art von „Nachteule“ geworden, die dann mindestens dreimal die Woche mit ihren Kindern kurz vor 21 Uhr ins Bett geht….denn der Schlaf vor 4 Uhr ist heilig… 😦

Aber vergangenen Freitag, ja, yeah und jippi, wage ich es und schau was „normale“ Menschen an einem Freitag Abend gegen 20 Uhr so tun…. Aufgeregt wie ein Teenie werfe ich mich in den Frühlingslook, freue mich wie eine Schneekönigin und marschiere direkt am Schlüsselkasten vorbei in die Freiheit. Mit der Konsequenz, dass ich ganz ohne yeah, ja und jippi gegen 23 Uhr vor meiner Haustür stehe und denke „Nein, Mist der Haustürschlüssel! Ich hab ihn nicht mitgenommen…. Jetzt muss ich meine Familie wecken!“  Ich geh einmal in die Hocke, um in der Handtasche nach meinem Handy zu kramen. Eine dezente SMS an meinen Ehemann, denke ich, ist besser als das ganze Haus zu wecken. Ich gehe aus der Hocke raus, stehe auf und schreie auf…. Aua…. was ist denn das? Wieso tut mir das Knie so weh? Ein Innenminiskus-Schaden am Freitag Abend vor dem langen Wochenende, das mir einen „Feierabend“ bescherte, dem lustigen Feiervolk in der Welt gleich 5 und allen Arztpraxen in Mannheim und in der Umgebung ne halbe Woche Urlaub.

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Tja, Gesundheit ist ein fragiles System. Gesund? Was ist das überhaupt? Sind wir alle, die wir da so „leistungsstark“ und „immer bereit“ und „immer auf dem Sprung“ durch die Welt marschieren, alle „gesund“, „wohlauf“ und natürlich daher immer „gut drauf“? Das ist es, was die Welt, und natürlich gerade die „Arbeitswelt“ von uns erwartet. Wir müssen allzeit fit sein, dafür natürlich jede Menge auch tun, um unsere Gesundheit zu erhalten, wir dürfen keine Schwächen haben, keine Einschränkungen, keine großen und keine kleinen Wehwehchen, gut, eine fette Erkältung im Jahr – sei uns gegönnt – „Schwamm drüber“, die mag man uns noch nachsehen, aber ansonsten „muss der Laden laufen“. „Krank sein“ passt nicht in unser modernes Leistungssystem, in dem wir, wie selbstverständlich, zwischen Abendbrot machen und Kinder ins Bett bringen, noch schnell die letzten Geschäfts-E-Mails checken, damit wir die dringenden Nachrichten, nachdem die Kinder im Bett sind, natürlich auch noch beantworten.

Wir sind immer „Online“, wir sind immer und überall gleichzeitig (und daher oft nirgendwo) und dafür müssen wir nicht nur körperlich, sondern auch seelisch und geistig natürlich top fit sein. 50 ist das neue 30, 70 das neue 50, wir gehen ins Fitness Studio, achten auf unsere Ernährung, Low Cab, Vegetarisch, Vegan, zuckerfrei –  muss sein! Wer würde denn freiwillig seine Gesundheit und somit seine Leistungsfähigkeit aufs Spiel setzen…. Dafür gehen wir mit dem Schrittzähler und dem grünen Smoothie in der Hand durch die Welt. Aber ist das gesund? Und wird unsere Welt deshalb gesünder?

Die Zahlen sprechen schon einmal eine andere Sprache. Laut IWD (Institut für Deutsche Wirtschaft) steigt die Anzahl der Krankheitstage der Beschäftigten kontinuierlich an. In 2016 waren pflichtversicherte Arbeitnehmer rund 2 1/2 Wochen krank geschrieben. Muskel- und Skeletterkrankungen sind nach wie vor der häufigste Grund für Krankschreibungen, dicht gefolgt von psychischen Erkrankungen. Mehr als die Hälfte aller Krankschreibungen sind auf schwerwiegende Erkrankungen zurück zu führen, die mindestens vier Wochen dauern. Gesund?

Klar, die Erklärungen liegen wie selbstverständlich auf der Hand. Unsere Gesellschaft wird immer älter und daher steigt die Anzahl jener, die ernsthafter erkranken an. Ältere Arbeitnehmer haben die länger andauernden Erkrankungen. Aber Statistiken wären nicht so spannend, wenn sie nicht auch immer noch ein Aber enthalten würden: Am häufigsten sind die 25 bis 29-jährigen krankgeschrieben. Im Durchschnitt haben sie 11,5 Krankheitstage im Jahr.

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Also was ist gesund? Was ist krank? Und wie möchte diese Gesellschaft mit den angeblich Kranken, Gehandicapten, Alten,  den Gesunden, Super Gesunden umgehen?

Die Antwort kann doch nur wieder Integration heißen. Es ist, denke ich, das Schlüsselwort unserer moderneren Gesellschaft. Die Menschen werden älter, daher sind sie oft kränker, chronische, unheilbare Erkrankungen wie Krebs nehmen stetig zu, die Muskel- und Skeletterkrankungen auch. Aber der Anstieg psychischer Erkrankungen müsste doch nicht weiter steigen, wenn wir unsere Arbeitswelt flexibler und menschenfreundlicher gestalten würden. Wir haben dafür alle Voraussetzungen in der Hand. Gerade unsere mobile (Online-) Arbeitswelt eröffnet uns doch wunderbare Möglichkeiten, auch jene Menschen zu integrieren, die den gesamten 8 Stunden Arbeitstag (der dann doch meist ein 10 Stunden Tag wird) nicht an einem „realen“ Arbeitsplatz schaffen. Ein Recht auf „Home Office“, also dem Arbeiten von zu Hause aus, wie es jetzt der Deutsche Gewerkschaftsbund an diesem ersten Mai fordert, könnte viele Menschen im Berufsleben halten, ihr wertvolles Wissen,  ihre Erfahrung, ihre Power blieb für die Arbeitswelt erhalten. Wir können nicht auf sie verzichten und wir sollten dies auch nicht wollen und anstreben.

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Die Kritik am durch die aktuelle Bundesregierung unveränderten Rentensystem wurde auch diese Woche wieder laut. So wie das Modell jetzt gestrickt ist, wird es nicht zu halten sein. Sprich in Zukunft werden alle noch länger arbeiten oder noch weniger Rente erhalten müssen, wenn dieses System nicht komplett kippen will. So kann doch auch hier nur das Wort „Integration“ der Schlüssel für diese gesellschaftliche Herausforderung heißen. Integration der Alten, der Kranken, der „Nicht ganz so gesunden“ (auch der jungen Kranken), auf dass jeder, so gut wie es ihm möglich ist, so lange als möglich seine Fähigkeiten einbringen kann.

Im Übrigen passen flexibel Arbeitszeiten und Home Office auch wunderbar zu den „neuen Jungen“, denn die junge Generation ist längst nicht mehr so leistungsorientiert, wie es die „alte“ mal war. Für sie steht materieller Wohlstand, Karriere um jeden Preis nicht an erster Stelle. Laut einer Umfrage unter 14 bis 22-Jährigen vom Bundesumweltministerium, die im Januar 2018 veröffentlich wurde, sind den jungen Leuten, gut Freunde, die einen anerkennen und akzeptieren, ein Partner, dem man vertraut und ein gutes Familienleben am wichtigsten. Neben dem Wunsch, eine gute Ausbildung zu haben, die einen (finanziell) unabhängig macht. „Das Leben in vollen Zügen genießen“, steht auch ganz oben auf der Prioritätenliste.

So sind sich Jung und Alt in diesen modernen Zeiten doch ganz schön nah. Sie wollen sich beruflich engagieren, legen Wert auf Aus- und Fortbildung und wollen doch zu keiner „Rund-um-die-Uhr-Arbeitsmaschine“ verkommen, auf dass sie dann doch nur krank werden und von der beruflichen Teilhabe womöglich für längere Zeit oder ganz ausgeschlossen sind.

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Und so passen wir doch alle ganz schön zusammen: Wir Kranken und Gesunde, wir Jungen und wir Alten, wir Familienmenschen und Freitags-Abend-Partygänger.

Einen schönen ersten Mai

wünscht Nicoletta Prevete

PS der Artikel wurde zwischen 4 Uhr und 6:30  Uhr früh erarbeitet – flexibler geht nicht..:)

 

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