Omi zu Besuch

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Nun also auch wir. Es war schon ein merkwürdiges bis leicht panisches Gefühl, plötzlich nicht mehr über Corona zu berichten, sondern Corona zu haben. Was trotz zwei Jahre Pandemie-Qualen, sowohl beruflich als auch privat, dennoch eine Abstraktion blieb, etwas, das andere hatten, etwas, das es unbedingt zu vermeiden galt, zeichnete sich nun als zweiter Strich unwirklich vor meinen Augen ab. Erst blassrosa und dann wie ein rotes Ausrufezeichen. Halsschmerzen, Müdigkeit und zunächst leicht erhöhte Temperatur konnten nicht als Erkältung abgetan werden, sondern hatte und hat den Namen Covid. Die Omi-Form, die angeblich milde Variante der Seuche. Omi hatte sich höchstwahrscheinlich bei einem lustigen Bar-Besuch meiner Tochter im Vergnügungsviertel Mannheim-Jungbusch, meiner Tochter sprichwörtlich an den Hals geworfen und die 17-Jährige brachte sie nichtsahnend, gutgelaunt nachts um eins mit zu uns nachhause. Jetzt hat es sich die Dame bei uns breit gemacht und „beglückt“ ein jedes Familienmitglied reihum. Aus jedem Zimmer hustet es, als ob eine Kolonne Bergwerkarbeiter bei uns untergekommen sei.

Meine erste Begegung mit der fiesen Omi war eine eiskalte. Sie hatte mich wirklich eiskalt erwischt. Mit zwei Bettdecken, einer Wolldecke und zwei Wärmflaschen versuchte ich, ihren kalten Eisgriffeln zu entkommen. Man müsse sie ausschwitzen, rieten die Ärzte, doch in meinem Bett blieb es kristallklar und nordpolkalt. Kein bisschen saunawarm. Dazu diese absurde innere wie äußere Lähmung; selbst der Gang zum Klo wurde ein Akt der grenzenlosen Selbstüberwindung. „Auf, komm, du schaffst es, es sind nur fünf Meter!“, spornte ich mich selbst an. Und wenn ich nicht mit Frieren, Bibbern, Zittern und heldenhaften Klogängen beschäftigt war, stöberte ich auf dem Handy mit rotumrandeten Augen im Netz, was denn nun ein milder Verlauf sei. Mild, hieß es da lapidar, bedeute, die Krankheit könne zuhause auskuriert werden und der Patient benötige keinen Krankenhausaufenthalt. Ok. Aber in den ersten Tagen wünschte ich mich genau dorthin: ins Krankenhaus. „Möge man mir eine Mischung aus Schmerzmitteln und Glühwein direkt in die Venen fließen lassen, damit Bibbern, Zittern und Gelenkschmerzen ein Ende finden“, dachte ich verzweifelt. Ohne mit der Wimper zu zucken, stopfte ich mir 1800 mg Ibuprofen am Tag rein und hatte so, wenigstens die Betriebstemperatur eines Eisbären.

Bei meiner 17-Jährigen haute Omi kräftig auf Magen und Darm. Bei meinem Mann beschloss sie, gleich die Bronchien zu malträtieren. Sie erwies sich als vielfältig und effizient. Die Omi. Zwei Jahre Pandemie strebten auf unseren persönlichen Höhepunkt zu und zogen unsere großen und kleinen, leisen und lauten, mutigen und genervten Versuchen, dem Virus zu entgehen ins Lächerliche.

Wirklich? Nein, wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich ist es ein Segen, jetzt Covid zu bekommen und es nicht nicht vor einem Jahr mitgemacht haben zu müssen, als noch keiner von uns geimpft war und es das Wort „geboostert“ noch gar nicht gab. Fast genau vor einem Jahr erhielt ich meine erste Impfung mit Astra Zeneca. Was war das für eine Aufregung. Unvergessen meine unzähligen nächtlichen Versuche auf Online-Impf-Portalen, als Risikopatientin möglichst schnell, eine erste Impfung zu bekommen. In jenem nicht enden wollenden Corona-Lock-Down-Winter, in dem Geschäfte und Restaurants geschlossen blieben und meine Kinder schon zwei und einhalb Monate im Home Schooling weilten – schon wieder, nachdem sie schon im Schuljahr zuvor ein halbes Jahr zuhause hockten. Der Winter, in dem die Menschen in Mannheim vier Monate lang, nach 20 Uhr nicht mehr vor die Tür durften und ich mir wie ein Schwerverbrecher vorkam, wenn ich die drei Straßen von meinen Eltern zu mir lief und die Uhr 20:10 anzeigte. Im Rückblick unfassbar.

Jetzt geimpft und geboostert, die Krankheit zu bekommen, macht die Omi dann doch kleiner, als sie sich am Anfang der Infektion gekünstelt aufplustern will. Sie zeigt: Hallo, das könnte ich alles: Dich zu Boden werfen, dich innerlich erfrieren lassen, deine Bronchien zum Wackeln bringen und später deine Lungen zum Erliegen. Deinem Magen jedes Essen verleiden und deine Nieren entzündlich zum Weinen bringen. Könnte ich, wenn du dein Immunsystem, nicht so blöd vorgewarnt hättest und dieses jetzt alle Truppen zusammenzieht, um mir jeden meiner Corona-Stacheln einzeln zu ziehen. Tja, ätsch, Pech gehabt. Omi. Mit mir nicht. Mit uns nicht. Wir bescheren PflegerInnen und ÄrtzInnen keine weiteren Überstunden. Die Pandemie hat für uns den Schrecken verloren. Und so erscheinen leere Plätze, öde Straßen, verweiste Spielplätze, Kinder vor wackligen Videokonferenzen und pandemiegeplagtes, gernervtes Türenschlagen einzelner Familienmitglieder wie ein Albtraum einer anderen Zeit.

Hier in der Corona-Quarantäne löst sie sich auf, die beständige Angst vor der Infektion, vor dem zweiten Strich, vor Sauerstoffmangel und Intubation. Wir sind geimpft. Wir sind entkommen. Und so scheint auch in Europa und demnächst bei uns die Omikron-Wand ihren Höhepunkt zu erreichen, um sich vom Tsunami, in einen Wirbelsturm und dann in ein laues Lüftchen zu verwandeln. In der Frühlings- und Frühsommerbrise werden wir die Omi abschütteln, in der Sonne ihre eiskalte Hand zum Schmelzen bringen. Schon möglich, dass sie im Winter, wie ein alter fieser Bekannter, wieder auftaucht. Schon möglich, dass sie Verwandte mitbringt. Aber wir schreiben eben das Jahr 2022. Wir haben gute Impfstoffe und immer bessere Medikamente gegen Covid. Glücklicherweise. Wir müssen wegen Omi und ihren Konsorten nicht mehr sterben. Wir haben es selbst in der Hand. Und so schließe ich nicht, mit dem bislang in der Pandemie üblichen Gruß „Bleiben Sie gesund!“, sondern wünsche „einen milden Verlauf!“ Es ist soweit. Wir können mit dem Virus leben.

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