Nur keine Panik….

„Es kann ziemlich einsam sein, ganz allein Krebs zu haben. Die anderen tun weiterhin Dinge, die bis vor kurzem auch für mich noch wichtig oder gar entscheidend waren. Und ich liege hier, schiebe meine plötzlich auftauchenden Sekundärbedürfnisse auf und überlebe ein bisschen. An einem albernen blubbernden Schlauch.“  Aus: „Heute bin ich blond“ von Sophie van der Stap

In dieser Woche rief mich eine andere Patientin an und bat mich um Rat, in der Entscheidungsfindung, ob sie einer Chemotherapie zustimmen soll oder nicht.

Der Tumorboard, also ein Zusammenschluss von Fachärzten, die in einer Art Konferenz Behandlungsempfehlungen aussprechen, hätte ihr dazu geraten. Sie sei aber dennoch unschlüssig, ob solch eine weitgehende und massive Behandlung ihrer Erkrankung angemessen sei.

Hinter ihrer sachlichen Art, Statistiken aufzuzählen und Argumente zu finden, die klar gegen eine Chemotherapie sprechen, verbarg sich vor allem eins: nackte Angst.

Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf – vor allem die eine: wird es mir so schlecht gehen, dass ich meinen Alltag, auch und vor allem, meinen Alltag als Mutter, nicht mehr bewältigen kann?

Eine Angst, die mir nur allzu vertraut ist. Ich selbst wartete im vergangenen Herbst vier Wochen lang auf ein Testergebnis, das über die Notwendigkeit einer Chemotherapie Auskunft geben sollte. Vier Wochen Wahnsinn. Vier Wochen, in denen ich mindestens noch zwei weitere Ärzte konsultierte, in der Hoffnung, dass sie mir von dieser mir nur Angst einflößenden Behandlung abraten würden. Gefühlte hunderte Gespräche mit meinem Ehemann,  abends wenn die Kinder im Bett waren, wie wir solch eine Behandlung in und mit der Familie managen wollen. Viele, viele Tränen und Albträume.

Alle konsultierten Ärzte waren sich einig, dass bei einem entsprechenden Testergebnis die Chemotherapie sein müsse.  Und das Testergebnis selbst sprach auch eine sehr eindeutige Sprache. Meine Rückfallquote lag  in den kommenden zehn Jahren bei 40 Prozent  – ohne Chemotherapie. Bei lediglich 8 Prozent mit der Therapie. Mit einem Balkendiagramm war mir jede Chance auf eine weitere Diskussion mit dem behandelnden Onkologen genommen. Eine Kurve zog sich steil empor und verhieß alles, nur nichts gutes… Ich würde mein Leben riskieren, wenn ich mich der Therapie entziehen würde und so musste ich dem Unvermeidlichen ins Auge blicken.

Was würde das bedeuten? Sechs Monate Leid? Dünn werden? Sich elend fühlen? Dauer Müde sein?  Nichts essen können? Nicht mehr am normalen Leben teilhaben können? Sich nicht mehr um die Kinder kümmern können.? Einsam sein? Verzweifelt sein…. ???

Tausend Horror-Geschichten hatte ich im Kopf.

Die Auskunft eines Arztes, ich solle mir dringend eine Haushaltshilfe suchen, mindestens vier Stunden am Tag, da ich selbst nur noch 50 Prozent meiner Leistungskraft behalten würde, machte mir auch nicht gerade Mut.

Aber dann gab es diesen anderen Satz. Diesen wunderbaren Satz, den ich wie eine Monstranz, seit vier Monaten vor mir her trage, diesen Satz, in den ich mich, wie in einen Banner gegen die Angst, eingehüllt habe, den ich mir immer und immer wieder sage, wenn es jetzt jeden Dienstag in meinen Venen blubbert und ich nichts anderes zu tun habe, als es zu ertragen: „Du schüttelst das ab, wie ein Hund das Regenwasser!“ Mein liebster TCM- (Traditionelle Chinesische Medizin) Professor vergisst an keinem Dienstag Abend, nach dem Chemie-Geblubber und der Akupunktur gegen die schlimmsten Nebenwirkungen,  mir diesen Satz mit nach Hause zu geben.

Und ich versuche ihn möglichst nicht zu vergessen. Nicht wenn ich müde bin, nicht wenn ich Bauchschmerzen habe, nicht wenn ich mich unwohl fühle, nicht wenn ich Nervenschmerzen habe.

„Du schüttelst das ab, wie ein Hund das Regenwasser!“

Klar schüttle ich das nicht einfach so ab. Das Abschütteln ist ein hartes Stück Arbeit. Mental, in dem ich mir sage, die fiese russische Eibe, die mir da Dienstags verabreicht wird, macht alle blöden Krebszellen ein für alla Mal tot, sie ist also gut für mich, nicht nur fies.

Körperlich, in dem ich, wenn auch mit Todesverachtung, chinesischen Heiltee trinke den meine Kinder „Erde“ oder auch wahlweise „schwarze Brühe“ nennen (muss ich mehr sagen…),  Nahrungsergänzungsmittel im Wert von mehreren Hundert Euro monatlich zu mir nehme, und mich auch an den doofen Tagen zumindest zu einem kleinen Spaziergang zwinge.

Wieder mental, in dem ich mich nicht weg sperre, nicht alles mit mir alleine ausmache, sondern raus gehe, Freunde treffe, mich besuchen lasse, ins Kino, ins Theater gehe.

Körperlich und mental, in dem ich x-verschiedene Haarbänder, Perücken, unterschiedlichste Looks, Farben und falsche Wimpern ausprobiere und mich in dieser Krankheit tausend Mal neu erfinde, statt mich in ihr zu verlieren.

Seelisch und mental, in dem ich wilde Zukunftspläne schmiede: Reisen, Ausstellungen, Blogs und Bücher.

Und das Wichtigste: Ich habe mir sehr schnell abgewöhnt, in Internet-Foren zu lesen, was die Chemo mit anderen Patientinnen so macht.

Das ist, wie wenn man den Beipackzettel vom Aspirin liest und glaubt,  alle darauf verzeichneten Nebenwirkungen würden bei einem selbst eintreten.

Das ist natürlich ganz großer Quatsch. Denn jeder Mensch ist anders und jeder reagiert auf so eine Behandlung anders. Aber alle können wir ihr tatsächlich heutzutage mit einem relativ großen Vertrauen begegnen, da die behandelnden Onkologen mittlerweile viel gegen die Nebenwirkungen tun können und niemand mehr spuckend über einer Kloschüssel hocken muss.

Den größten Blödsinn, den ich in diesem Zusammenhang je gemacht habe, war vor Chemo Nummer eins, eine Klatsch-Seite über Silvie van der Vaart zu lesen, die sich angeblich während ihrer Behandlung in einer Nacht über 25 Mal übergeben hatte…

Nach dieser Lektüre war ich fertig mit der Welt.

Daher kann ich jeder Patientin nur raten, lies das Richtige! Gute, medizinische Internetseiten vom DKFZ, der Deutschen Krebshilfe, Mamazone oder Leben-mit-Brustkrebs. de und am besten Finger weg von der Computer Tastatur was „Foren-Erlebnisse“ angeht.

Beim Lesen dieser Foren-Einträge kann man körperlich spüren, wie die Nebenwirkungen schon vor der Behandlung in einem blühen…

Ich habe jetzt schon vier Monate Chemo hinter mir. Ja ich habe keine Haare mehr auf dem Kopf, ja ich habe keine Wimpern mehr, ja ich muss mich öfter hinlegen und ja, nicht jede Nacht bringt guten, erholsamen Schlaf, ja die Nerven lagen oft blank und ja ich hab schon so manche Stunde mir die Augen rot und dick geweint.

Aber ja ich habe Geburtstag gefeiert, war mit den Kindern über Silvester im Kinderhotel (manchmal hab ich den Hang zu russisch Roulette), mit meinem Mann eine Woche in Andalusien, um „Bergfest“ zu feiern, ich geh regelmäßig ins Kino und gerade gestern hab ich mich mit Mundschutz ins Theater getraut (mein Gott, warum müssen die Leute mit so nem Husten eigentlich ins Theater? Die armen Schauspieler….), ich geh gerne in Cafés und manchmal auch ins Restaurant, ich mach Rentner Nordic Walking (vielleicht nicht gerade bei Eis und Schnee) und es gibt immer noch einige Gerichte, die tatsächlich wie früher schmecken (allerdings ist mein Verbrauch an Salz und Olivenöl wirklich abartig – ist wie schwanger sein….), ich spiele manchmal immer noch Kinder Taxi, geh selbständig einkaufen und auch wenn die Haushaltshilfe Urlaub hat, versinken wir nicht im Chaos.

Und nein, ich lag noch nie tagelang im Bett oder auf der Coach, ein bis zwei Stunden Nickerchen am Tag reichen halbwegs, um den Alltag zu bewältigen.

Also MACHBAR!

Daher sag ich: Trau dich, Dein Leben fort zu führen, wenn Du Lust hast, entdecke neue Seiten an dir, oder lebe die aus, die schon lange darauf gewartet haben, ausgelebt zu werden, achte auf dich, sag ganz oft nein (ist sehr befreiend) und ganz oft ja zu den tollen Momenten, weinen ist o.k., aber versinke nicht im Tränenmeer und nein, weder Krebs noch Chemo sind Gründe  von irgendeinem Hochaus zu springen.

Sei dein Freund!

„An dem Tag, an dem sich herausstellte, dass ich Krebs habe, ist mein Spielfeld von der Größe einer Gymnastikhalle auf die eines Fußballplatzes gewachsen. Kein Tag vergeht, an dem mir nicht bewusst ist, dass andere an mich denken. Alle wollen mir etwas Gutes tun, ob sie mir nur einen Drink… oder einen Verwöhntag im Schönheitssalon spendieren. Manchmal hab ich Angst, diese warme Decke könnte mich vergessen lassen, wie es ist ist, ohne ein paar Arme an jeder Ecke durchs Leben zu gehen. Ich kann alles machen, alles sagen, alles finden. Und zum Glück alles tragen. Jeder scheint angetan, wenn er mich mit eine neuen Perücke sieht. Die steht dir auch gut. Schön, wie Du mit der Krankheit umgehst.“ Aus „Heute bin ich blond“  von Sophie van der Stap

 

 

 

 

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