This Is The Highest Point – vom Gefühl nie anzukommen

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Mit 16 war ich mal auf einem Sommercamp der Kirche in Frankreich in den Cevennen. Wandern und Zelten gehörte leider zum Standard Programm. Mich damals schon gut kennend, wählte ich stets die vermeintlich kürzeste und einfachste Strecke. Doch die Rechnung ging nicht immer auf. Unser englischer Wanderführer (es war ein internationales Feriencamp) rief im Laufe des Tages rund zehn Mal: „This is the highest Point!“. Und danach ging es munter weiter bergauf. An einer Rechtskurve, hinter der man gefühlt zum 100. mal sich die langersehnte Bergspitze erhoffte, brach eine Jugendliche weinend zusammen (Nein, das war ausnahmsweise nicht ich) und eine der Leiterinnen tröstete sie mit den Worten, das sei eine normale Reaktion der Überforderung. Beim professionellen Bergwandern gäbe es sogar einen Fachausdruck für diese „Überreaktion“.

An unsere damalige Verzweiflung, niemals oben anzukommen und schon gar nicht an diesem Tag überhaupt an irgendein Ziel anzukommen, erinnerte ich mich heute früh, als ich trotzig, weinerlich, jammernd und klagend unseren üblichen Frühstücks-Käseteller anstarrte. Lock Down Koller. Da war er und ließ sich mit noch so guten Worten des Besten aller Ehemänner nicht wegdiskutieren. Koller haben so ne Art auf jeden noch so vernünftigen Ratschlag und jeden noch so gut gemeinten Trost entweder gar nicht oder mit einem noch größeren Koller zu reagieren.

Da saß ich nun nach 14 Monaten Home Schooling, Home Office, Dauer-Panikmache und Dauer-Ansteckungsangst, Polit-Wirrwarr und Seelen-Wirrwarr und war keinem vernünftigen Argument mehr zugänglich. „Ich muss hier raus!“ schrie die wunde Seele und auch der unfreundliche Mund.

Der Käseteller blieb ungerührt stehen und mein Mann und ich zogen ohne Kinder (die Gott sei dank dem traurigen Schauspiel nicht beiwohnen mussten, da sie beim leiblichen Vater übernachteten) los. Wir kauften zwei Schoko-Croissants beim Bäcker und zwei Capuccini und setzten uns ans Neckarauer Strandbad. Mit Blick aufs Wasser, dick eingemummelt schlürften wir unseren Milchschaum-Kaffee und bekamen Puderzucker-Schnurrbärte. „Jetzt schaust Du aufs Wasser und stellst dir vor, wir sitzen in Paris an der Seine!“, sprach der Beste aller Ehemänner. Und während ich so voller Selbstmitleid vor mich hin schmatzte, wurde mein aufgeregter Atem wieder etwas flacher.

Unser Paris Ausflug dauerte kaum eine Stunde, weil mein Mann seinen Sonntagsdienst antreten und ich meinen unmotivierten Sohn zu einem unsäglichen Technik-Experiment überreden musste. Er kostete auch keine 10 Euro. Aber er rettete sozusagen unseren Sonntag. Auf dem Heimweg begegneten wir zudem zwei älteren italienischen Herren, die mit Boxhandschuhen ausgestattet, sich sportlich gegenseitig vermöbelten. „Und wer gewinnt?“, fragte mein Mann auf italienisch beim Vorbeigehen. „Ach, niemand, eigentlich“, antworteten die beiden. „Es geht nur darum sich etwas zu bewegen und Aggressionen abzubauen. Dann sind wir zuhause friedlich!“, erklärten sie lachend.

Ich versuche jetzt auch für den Rest des Tages friedlich zu sein, was mir angesichts des Home Schooling Technik Experiments mit acht dazu gehörenden Aufgaben und einen mehr als unwillgen elfjährigen alles andere als leicht fällt. Aber ich kriege die nächste Kurve, heute jedenfalls. „This is the Highest Point“, rief der Engländer damals im Feriencamp. Nein, leider nicht, das dauert wohl noch zehn bis 20 Kurven im Dauer Lockdown. Aber ich kann ja zwischendurch mal an die Mannheimer Seine, mich mit reichlich Kohlenhydrate trösten oder mir die Boxhandschuhe der italienischen Senioren ausleihen. Gesund bleiben! Und eine Kurve nach der anderen nehmen!

Wie immer herzlichst! Eure Nicoletta

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